Die "Straßhofer Juden"

Bei den sogenannten „Straßhofer Juden“ handelte es sich um etwa 16.000 ungarische Jüdinnen und Juden, die im Sommer 1944 das Durchgangslager Strasshof an der Nordbahn erreichten. Ursprünglich wurde das Lager in Straßhof als Erstaufnahmelager für „Ostarbeiter“ (Zwangsarbeiter aus den im Osten besetzten Ländern) angelegt. Hier wurden sie registriert, medizinisch untersucht und anschließend auf ihre Arbeitsstellen im Reich verteilt.[1]

Die Gruppe der „Straßhofer Juden“ resultierte aus einem Deal zwischen der SS und dem Budapester „Unterstützungs- und Rettungskomitee“ (Vaadat Ezra v’Hazalah)[2] rund um Rudolf Kastner. Schon seit 1943 war das Unterstützungskomitee tätig um bedrohten Juden aus der Slowakei, Polen, dem Protektorat und Deutschland Hilfe zu gewähren. Mit dem Beginn der Ghettoisierungen in Ungarn und der anschließenden Verschickung nach Ausschwitz bemühte sich das Unterstützungskomitee möglichst viele der ungarischen Jüdinnen und Juden vor dem sicheren Tod zu bewahren. Erste Verhandlungen mit Dieter Wisliceny, dem Stellvertreter Adolf Eichmanns in Ungarn, mündeten in der Ausreise von 1600 Personen über Bergen-Belsen in die Schweiz. Im Gegenzug zahlte das Unterstützungskomitee rund 4 Mio. Reichsmark an die SS. Auf Anweisung von Himmler wendete sich Eichmann im Mai 1944 an Kastner und schlug ihm überraschenderweise die freie Ausreise aller ungarischen Juden gegen die Lieferung von 10.000 geländegängigen LKW sowie weiteren kriegswichtigen Rohstoffen vor. Zwar gab sich das Unterstützungskomitee keinen Illusionen bezüglich der Haltung der Alliierten zu diesem Vorschlag hin, ging aber zum Schein auf die Verhandlungen ein. Strasshof US Luftaufnahme kleinMan spekulierte auf Zeit und hoffte, auf diese Weise eventuell doch noch etliche Menschen vor dem Transport in die Konzentrationslager bewahren zu können. Im weiteren Verlauf der Verhandlungen bot das Rettungskomitee dem SEK Güter im Wert von 4 bis 5 Millionen Schweizer Franken für den Freikauf von 100.000 Personen an.[3] Kastner forderte aber eine gesonderte Unterbringung in sicheren Lagern. Eichmann erklärte sich bereit, 30.000 von ihnen in Straßhof bei Wien „auf Eis“ zu legen.[4] 15.000 sollten aus der Provinz stammen, die andere Hälfte aus Budapest. In Straßhof sollten die Arbeitsfähigen zum Arbeitseinsatz herangezogen werden, für die Verpflegung der Menschen mußte das Rettungskomitee aufkommen[5]  Statt der vereinbarten 30.000 sind dann letzten Endes sechs Transporte mit ingesamt rund 16.000 in Straßhof eingetroffen.[6] Diejenigen, die schließlich per Bahn nach Niederösterreich geleitet wurden, wählte das Rettungskomitee aus. Straßhof war allerdings nur als Durchgangslager vorgesehen. Von dort aus vermittelten die zuständigen Gauarbeitsämter die ungarischen Jüdinnen und Juden familienweise an Bauern und industrielle Betriebe in Wien und Niederdonau weiter.[7]

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[1] Irene Suchy. Strasshof an der Nordbahn. Die NS-Geschichte eines Ortes und ihre Aufarbeitung. Wien 2012. S. 17ff.

[2] Zum Folgenden vgl. Michael Achenbach, Dieter Szorger. Der Einsatz ungarischer Juden am Südostwall im Abschnitt Niederdonau 1944/45. Dipl.Arb. Wien 1996. S. 20 – 25.

[3] Raul Hilberg. Die Vernichtung der europäischen Juden. Frankfurt a. M. 1990. S. 911

[4] Gerald Reitlinger. Die Endlösung. Hitlers Versuch der Ausrottung der Juden Europas 1939 – 1945. Berlin 1956. S. 495f

[5] Der Kastner-Bericht über Eichmanns Menschenhandel in Ungarn. München 1961. S. 113ff

[6] Die Zahl der nach Straßhof Verbrachten ist nicht eindeutig geklärt. Siegfried Seidl, ein Mitarbeiter des SEK/Außenstelle Wien, nennt eine Zahl von 14.000 Personen (WStLA, LG Wien, Vg 1b Vr 770/46). Der Kastner-Bericht 1961 geht einmal von 15.000 (Der Kastner-Bericht über Eichmanns Menschenhandel in Ungarn. München 1961. S. 119, 270) und ein anderes Mal von 18.000 aus (Kastner, S. 115). Nach einer Aussage Krumeys gegenüber Kastner belief sich die Zahl auf rund 17.500 bis 18.000 (Kastner, S. 278). Andreas Biss nennt ebenfalls 18.000 (Andreas Biss: Der Stop der Endlösung. Kampf gegen Himmler und Eichmann in Budapest. Stuttgart 1966, S. 88, 92), während Braham sogar von einer Zahl von 20.787 Personen ausgeht (Randolph L. Braham: The politics of genocide. The Holocaust in Hungary. New York 1981. S. 652).

[7] Vgl. zu Straßhof auch Eleonore Lappin: Ungarisch-jüdische Zwangsarbeit in Wien 1944/45. In: Martha Keil, Klaus Lehmann (Hg.): Studien zur Geschichte der Juden in Österreich. Reihe B. Band 2. Wien, Köln, Weimar 1994, S. 149ff