Purbach

Das Lager im Esterhazykeller in Donnerskirchen war bereits kurz nach seiner Belegung aufgrund der fehlenden sanitären Einrichtungen und der Tatsache, dass die Menschen nachts eingesperrt wurden, in einem unbeschreiblichen Zustand. Spätestens nach einer Woche brach im Lager Flecktyphus aus, da der Lagerleiter Nikolaus Schorn das Wasser sperren ließ.[1] Vg Karte Ausschnitt Lazarett kleinJeder Ungar bekam pro Tag nur eine Feldflasche voll Wasser zugeteilt. An Waschen war daher nicht mehr zu denken, und die Seuche verbreitete sich aufgrund des Wassermangels sehr rasch. Alle diejenigen, die aufgrund ihrer Erkrankung nicht mehr in der Lage waren zu arbeiten, brachte man zu einem verfallenen Meierhof zwischen Donnerskirchen und Purbach, der euphemistisch als „Lazarett“, „Krankenlager“, „Krankenstation“ oder auch als „Weidenstall“ bezeichnet wurde. Auch die Kälte und die mangelhafte Verpflegung schwächten die Menschen derart, daß sie oft kaum in der Lage waren das zum Schanzen nötige Werkzeug zu tragen. Aufseher malten denjenigen Ungarn, die zu erschöpft waren um an den Baustellen weiterarbeiten zu können, ein rotes Kreuz auf den Rücken. Die so Gekennzeichneten nahm der Lagerleiter später aus den Reihen heraus und verlegte sie ebenfalls in das „Krankenlager“.[2]

Ärztliche Behandlung wurde den Juden dort kaum zuteil. In diesem baufälligen, fenster- und teilweise dachlosen Gebäude lagen die Fleckfieberkranken schutzlos der Kälte ausgesetzt auf dem Boden. Zwei Ungarn, ein Tierarzt und ein Medizinstudent im zweiten Semester, „betreuten“ dort ihre Kameraden soweit es ihnen unter derartigen Umständen möglich war. Medikamente standen den beiden aber nicht zur Verfügung, obwohl nach der Aussage des Gemeindearztes von Purbach und Donnerskirchen (der auch für die Arbeiter der Reichsschutzstellung zuständig war) eine Versorgung im Bereich des Möglichen gewesen wäre.[3] Nach der Ablösung des Lagerleiters Schorn wurden dann auch tatsächlich Arzneimittel für die Ungarn beschafft.DSCN9617 Kop

In dem baufälligen Gebäude ohne Fenster und mit schadhaftem Dach fehlte es an allem. Nicht einmal der Boden war mit Stroh bedeckt, sodaß die Kranken dort in der eisigen Kälte auf dem nackten Boden liegen mußten. Einen Ofen gab es in diesem Gebäude ebenfalls nicht, und auch offenes Feuer war bei Strafandrohung untersagt. Aussagen von ehemaligen Zwangsarbeitern belegen außerdem, daß der Lagerleiter nur einen Teil der Essensrationen für die dort untergebrachten Juden austeilen ließ.[4] Aus den genannten Gründen kann die sogenannte „Krankenstation“ nur als Sterbelager bezeichnet werden. Die Überführung in die „Krankenstation“ kam einem Todesurteil gleich. Darüberhinaus berichteten Überlebende auch von vorsätzlichen Morden an den dort Untergebrachten. Morgens, während des Appells im Hof des Esterhazykellers, wurden ebenfalls Arbeitsunfähige aus den Reihen aussortiert. Nach dem Abmarsch der Arbeiter mußten sie ihre Schuhe abgeben und sich bis auf die Unterwäsche ausziehen. Anschließend brachte man sie zur „Krankenstation“, wohin sie aber nicht einmal ihre Decken mitnehmen durften. Die Ausgesonderten wußten, daß sie im sogenannten „Weidenstall“ zum Sterben abgelegt wurden. Wenn sie auf den Pferdewagen geladen wurden der sie dorthin bringen sollte, riefen selbst jene die sich kaum auf den Beinen halten konnten: „Wir wollen arbeiten“. Vom Lagerleiter Schorn erhielten sie die zynische Antwort: „Ihr geht doch ins Sanatorium!“[5]

Geza Hartai Sanatorium kleinIn ihrer Not versuchten die Erkrankten wenigstens die Fenster des Gebäudes mit herumliegenden Ziegelsteinen abzudichten. Bei den täglichen Appellen durch den Lagerleiter kam es immer wieder vor, daß dieser aus Böswilligkeit die Ziegel ins Innere des Hauses drückte und damit einige der darunter liegenden Personen verletzte. Während der Appelle draußen im Freien, bei denen die Juden nicht selten bis zu zwei Stunden in der Kälte strammstehen mußten, starben viele der besonders Schwachen und Kranken. Einige Male ließ der Lagerleiter abends eine Zahl von 10 bis 30 Männern vor den Weidenstall treten. Anschließend mußten sie sich nackt ausziehen und die ganze Nacht draußen im Freien verbringen. Denjenigen, die im Haus bleiben durften, verbot er bei Todesstrafe jegliche Hilfeleistung für die vor dem Haus sterbenden Kameraden. Niemand überlebte jemals diese schreckliche Prozedur.

Die Ernährungssituation der Kranken war noch schlechter als die der arbeitenden Ungarn. Oft erhielten sie nur einen Bruchteil der üblichen Ration. Die Begründung des Lagerleiters hierfür war, „dass diese Juden (...) sowieso nicht mehr arbeiten, es ist überflüssig ihnen das Essen herauszuschleppen, sie sollen verrecken“.[6] Ein Zeuge, der als „Lebensmittelausteiler“ beschäftigt war, berichtete, daß er beispielsweise 103 Kranken lediglich 3½ Brote mit insgesamt fünf oder fünfeinhalb Kilogramm Gewicht zu bringen hatte![7]

Einige der Juden versuchten aus dem „Krankenlager“ in Richtung Sopron zu flüchten, wurden aber meistens wieder aufgegriffen. Zur Strafe wurden sie vor den Augen ihrer Kameraden hingerichtet. Anschließend zwang Nikolaus Schorn alle Insassen des „Lazaretts“ fünf- bis sechsmal vor den Toten auf und ab zu gehen. Einer der Ungarn berichtete, daß er eines Tages in die „Krankenstation“ verlegt wurde, und noch in derselben Nacht auf Anraten seiner Kameraden zurück in den Keller flüchtete. Dies war ihm möglich, da der Weidenstall nur tagsüber von Männern der SA bewacht wurde. Trotz seiner Krankheit hat er weiter am Südostwall gearbeitet und wahrscheinlich nur deshalb überlebt.[8] Aladar Roth, ein Überlebender der „Krankenstation“, hörte von Schorn die Aussage, daß „derjenige, der in dieses Krankenhaus kommt sterben muss, entweder am Typhus oder, wenn dies nicht der Fall ist, werde er ihn selbst erschlagen.“[9] BLA LageVorfallInfberichte BH Eisenstadt 30 08 1949 VorschauAls die Kranken Schorn eines Tages um etwas mehr Essen baten, erwiderte er ihnen, daß sie sowieso bald sterben müßten und er ihnen nichts zu essen geben werde. Das Heizverbot in der baufälligen „Krankenstation“ tat ein übriges, um die Todesraten hoch zu halten. Von der Wehrmacht ließ sich Schorn 70 Meter westlich des Weidenstalles ein für etwa 700 Personen ausgelegtes Massengrab in den tief gefrorenen Boden sprengen. GIS Burgenland PurbachAuch die Größe dieses Massengrabes ist ein weiterer Hinweis auf die Absicht von Nikolaus Schorn, alle in seinem Machtbereich befindlichen Juden zu töten.[10]  

Im zweiten Donnerskirchen-Prozeß wurde der ehemalige Lagerleiter Nikolaus Schorn auch aufgrund von Mißhandlungen und willkürlichen Tötungen an Juden im „Krankenlager“ angeklagt. Nicht zuletzt aufgrund dieses Volksgerichtsprozeßes blieb das Massengrab auf Purbacher Gemeindegebiet im Bewußtsein der Bevölkerung. Durch Bemühungen des Wiener KZ-Verbandes konnten am 25 August 1949 die Opfer im Beisein des Oberrabiners von Wien exhumiert, und mit zwei LKW zur Wiederbestattung nach Ungarn überführt werden.[11]

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[1] Lg Wien Vg 1a Vr 1322/49: Urteil vom 24. September 1951, S. 303

[2] Lg Wien Vg 1a Vr 1322/49: Protokoll mit Ladislaus Ladányi vor der Volksanwaltschaft Budapest am 20. Oktober 1948, S. 81ff und Protokoll mit Ladislaus Köszegi vor dem Strafgerichtshof Budapest am 27. Juni 1950, S. 270ff

[3] Lg Wien Vg 1a Vr 1322/49: Urteil vom 24. September 1951, S. 305f

[4] Lg Wien Vg 1a Vr 1322/49: Urteil vom 24. September 1951, S. 308

[5] Lg Wien Vg 1a Vr 1322/49: Protokoll mit Géza Hartai vor dem Strafgerichtshof Budapest am 26. Juni 1950, S. 245

[6] Lg Wien Vg 1a Vr 1322/49: Aussage des Sandor Zoltan vom 8. September 1950 vor dem Strafgerichtshof Budapest, S. 191

[7] Lg Wien Vg 1a Vr 1322/49: Protokoll mit Koloman Vámos vor dem Strafgerichtshof Budapest am 26. Juni 1950, S. 252

[8] Zu den Verhältnissen in der sogenannten „Krankenstation“ vgl die Aussagen von: Ladislaus Mecey, Emmerich Seres, Ladislaus Ladány, Friedrich Farkas, Ladislaus Sugár, Aladar Roth, Sandor Zoltan, Géza Hartai, Koloman Vámos und Ladislaus Köszegi in Lg Wien Vg 1a Vr 1322/49.

[9] Lg Wien Vg 1a Vr 1322/49: Protokoll mit Aladar Roth vor der jüdischen Kultusgemeinde Varnsdorf am 14. Oktober 1948, S. 501

[10] Lg Wien Vg 1a Vr 1322/49: Aussage des Werner Dyck vom 25. Mai 1945, S. 5f und Protokolle mit Aladar Roth, Koloman Vámos, Josef Darvas und Géza Hartai.

[11] Lg Wien Vg 1a Vr 1322/49: Meldung des Gendarmeriepostenkommandos in Purbach vom 22. August 1950, S. 166. BLA, Lage-, Vorfall- und Informationsberichte, A VIII/14, II/2, Bericht der Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt für den Monat August 1949 vom 30. August 1949.