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Eine Erschiessung am Vormittag des 30. März 1945?

Ebenfalls um den 29. März erfolgte der Befehl zur Räumung von St. Margarethen. Dies betraf gleichermaßen die Ortsbevölkerung, die verschiedenen NS-Organisationen und alle Zwangsarbeiter. Ortsgruppenleiter und Gendarmeriekommandant vernichteten am Vormittag belastendes Material, und die OT steckte ihre mitten im Ort gelegene Kanzlei in Brand.[1] Die Wehrmacht war größtenteils schon abgezogen. Auch die im Unterabschnitt tätigen Parteifunktionäre organisierten ihre Flucht mit einem requirierten Traktor.[2]

Am Morgen des 30. März gegen 9 Uhr brach jedoch unerwartet eine Gruppe von sechs ungarischen Juden in das Chaos des hastigen Aufbruches ein. Etwa zur selben Zeit hatte der zur Wache am Südostwall eingeteilte Volkssturmmann Paul Palkovits Dienstschluß. Auf seinem Weg nach Hause kam er in die Nähe des Meierhofes, der sich damals noch knapp außerhalb des Dorfes, am Fuß des Ruster Berges, etwa einen Kilometer entfernt vom Römersteinbruch befand. Er trug den Namen „Moorhof“ und wurde temporär von einer durchziehenden SS-Einheit genutzt. Dort sprach ihn der am Rande des Meierhofes stehende Volkssturmmann Anton Pfluger an, und machte ihn auf das Geschehen innerhalb des Hofes aufmerksam. Der Gerichtsakt enthält folgende Aussage des Paul Palkovits:

„Als ich in die Nähe des Meierhofes von St. Margarethen kam, stand bei der Umfassungsmauer der Landwirt Anton Pfluger. (...) Es war zwischen neun und zehn Uhr vormittags. Als mich Pfluger bemerkte rief er mir zu: 'Komm her, hier kannst Du etwas sehen!' Ich ging zur Umfassungsmauer und sah wie der Ortsgruppenleiter und Bürgermeister Karl Unger mit einer Pistole einen Juden niedergeschossen hat. Gleichzeitig bemerkte ich, daß bereits fünf tote Juden am Boden lagen. Ich fragte den Pfluger, wer diese erschossen hat und sagte mir Pfluger, daß diese auch Unger bereits niedergeschossen hat.“ [3]

Nach der endgültigen Kapitulation Deutschlands ließ der neue KPÖ-Bürgermeister Anton Koller im Ort austrommeln, dass sich jeder melden solle, der durch die Nationalsozialisten geschädigt worden sei. Ihm erzählte Palkovits daraufhin erstmals von seiner Beobachtung. Und im September 1945 nahm der damalige Gendarmerie-Postenkommandant Viktor Franz, während der ersten Erhebungen des Bezirksgerichtes zu den Vorgängen in St. Margarethen, Palkovits’ Aussage zu Protokoll. Viktor Franz hatte jedoch auch während der NS-Zeit die Stelle des Gendarmerie-Postenkommandanten inne – und zwar durch Protektion des Ortsgruppenleiters Unger. Möglicherweise nahm Franz aus diesem Grund eigenmächtig eine „Korrektur“ der Palkovits-Aussage vor, und fügte folgenden Kommentar hinzu:

"Nach Angaben des Zeugen Palkovits, sollen schon in der Zeit zwischen neun und zehn Uhr, als dieser vom Dienst nach Hause ging, einige erschossene Juden am Boden gelegen haben, welche Angaben nicht stimmen, da der Gefertigte (Postenkommandant Viktor Franz / der Verfasser) am selben Tag wiederholt durch den Meierhof fuhr und keine toten Juden bemerkt hat. Auch wurden in dieser Zeit keine Schüsse vernommen." [4]

Das Hinzufügen eines eigenen Kommentars zur Aussage eines Zeugen ist ein eher unüblicher Vorgang, und führte in diesem Fall zur (beabsichtigten?) Vernehmung des Viktor Franz als Zeuge zum Tathergang. Vor dem Bezirksgericht Eisenstadt änderte Viktor Franz jedoch seine Aussage und erklärte, er sei zwar am Vormittag des 30. März nicht durch den Meierhof gekommen, war sich aber dennoch sicher, daß dort keine Ermordeten gelegen hätten.[5]

Am gleichen Tag nahm auch Paul Palkovits, ebenfalls vor dem Bezirksgericht Eisenstadt, seine Aussage teilweise zurück. Demnach beobachtete er Unger nicht mehr persönlich beim Erschießen der Unglücklichen.

„Ich sah über die Mauer und bemerkte, daß innerhalb der Mauer sechs tote Zivilisten lagen. Pfluger erzählte mir, Unger habe diese sechs Männer, und zwar Juden, eben erschossen, dort gehe er noch. Ich sah Unger aus dem Meierhof herausgehen, er hatte in der rechten Hand eine Pistole. Ich hatte vorher keinen Schuß gehört. Allerdings herrschte ziemlicher Lärm, da einige Flugzeuge herumkreisten. Ich selber habe nicht gesehen, daß Unger einen Juden niederschoß. Die diesbezüglichen Angaben (...) habe ich nicht gemacht. Es muß sich der Gendarm geirrt haben. (...)"

Mit der relativierenden Aussage des Viktor Franz konfrontiert, erklärte Palkovits aber mit Bestimmtheit:

"Wenn mir vorgehalten wird, daß der Gendarm Franz meine Angaben für unrichtig halte, weil er zur angegebenen Zeit selbst keine erschossenen Juden im Meierhof habe liegen gesehen, so bleibe ich dabei, daß meine Wahrnehmungen der Tatsache entsprechen.“ [6]

Am 25. Juli 1946 wurde Palkovits erneut vor dem Bezirksgericht Eisenstadt in dieser Sache befragt. Er blieb bei seiner zuletzt gemachten Aussage von Januar 1946 und fügte hinzu:

„Ich sah den Karl Unger mit zwei SA-Männern vom Meierhof beim Hoftor hinausgehen. Die sechs Juden, welche tatsächlich erschossen wurden, lagen im Meierhof. (...) Ich ging dann nach meinem Dienst zur Brückenbewachung und weiß nicht, wo diese Juden begraben wurden.“ [7]

Im Prozeß gegen Edmund Brauner, den Kreisleiter von Eisenstadt und Abschnittskommandanten im Bauabschnitt Mitte, wurde Palkovits am 17. August 1946 ebenfalls einvernommen. Nach dieser Aussage soll ihn Anton Pfluger darauf hingewiesen haben, daß der Ortsgruppenleiter kurz vorher sechs Juden ermordet habe. Entgegen sämtlichen früheren Aussagen will Palkovits aber weder Unger noch irgendwelche SA-Männer persönlich im Meierhof gesehen haben.[8]

Vor Gericht schenkte man Palkovits einerseits wegen der wiederholten Änderung seiner Aussage und andererseits wegen der gegenteiligen Aussagen sowohl des ehemaligen Postenkommandanten Franz als auch weiterer Zeugen, die damals als Volkssturmmänner im Bereich des Meierhofes Dienst taten, keinen Glauben. Der Vorfall wurde daher letztlich nicht in die Anklage im Prozeß gegen den NS-Ortsgruppenleiter und Bürgermeister von St. Margarethen Karl Unger aufgenommen. Eventuell irrte sich Palkovits lediglich im Zeitpunkt und der Anzahl der Getöteten, und seine Wahrnehmungen bezogen sich auf die Erschießung der 30 bis 40 ungarischen Juden im Meierhof am Nachmittag desselben Tages.

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[1] LG Wien Vg 11 Vr 3117/45. Aussage des Anton Bleich vom 23. Mai 1946 vor dem Bezirksgericht Eisenstadt und I nterview mit Rosa Alfons am 16. Oktober 1993 in St. Margarethen. Sammlung Szorger/Achenbach

[2] Vgl. Lg Wien 31 Vr 471/56: Ermittlungsersuchen des Landesgendarmeriekommandos für das Burgenland an das Bezirksgendarmeriekommando Gänserndorf vom 18. August 1946

[3] Lg Wien Vg 11h Vr 3117/45: Aussage des Paul Palkovits vom 4. September 1945, S. 15. Auch in diesem Fall muss kritisch angemerkt werden, dass Palkovits die einzige Quelle für die Erschießung der sechs Juden im Meierhof ist. Der von ihm genannte Hauptzeuge Anton Pfluger, der die Ermordung nach den Ausführungen von Palkovits von Anfang an beobachtet haben soll, konnte nicht mehr einvernommen werden, da er noch am 30. März 1945 einem sowjetischen Bombenangriff zum Opfer fiel.

[4] Lg Wien Vg 11h Vr 3117/45: Zusatzbemerkung des Postenkommandanten Victor Franz zur Aussage des Paul Palkovits vom 4. September 1945, S. 16

[5] Aussage des Viktor Franz vom 15. Januar 1946, S. 55. Lg Wien Vg 11h Vr 3117/45

[6] Aussage des Paul Palkovits vom 15. Januar 1946 vor dem Bezirksgericht Eisenstadt. Lg Wien Vg 11h Vr 3117/45, S. 57

[7] Aussage des Paul Palkovits vom 25. Juli 1946. Lg Wien Vg 11h Vr 3117/45, S. 115

[8] Aussage des Paul Palkovits vom 17. August 1946. Lg Wien 31 Vr 471/56

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